Las Meninas

by Bruce High Quality Foundation

Material

Siebdruck und Farbe auf Leinwand; 259.1 x 228.60 cm

Datierung

2011

Über das Kunstwerk

Las Meninas, BHQF, 2011
Durch notorische Aneignung von bekannten Bildern der Vergangenheit treten die Arbeiten von BHQF in einen eigenen Dialog mit der Gegenwart, in welchem versucht wird, ‚die Erfahrung des öffentlichen Raumes mit Verwunderung zu erfüllen, in dem Kunstgeschichte aus einer tiefen Verzweiflung gehoben werden, und die Institutionen der Kunst mit der Freude menschlichen Begehrens getränkt werden sollen‘. Die offenkundige Aneignung in dieser Arbeit, unverfroren Las Meninas betitelt, ist ikonographisch und ästhetisch facettenreich. Zuallererst ist die linke Tafel des Diptychon eine ikonische Reproduktion des Bildes von Velázques aus dem 17. Jahrhundert, mit der Darstellung der spanischen königlichen Familie und dem Selbstportät des Künstlers.
Die Beziehung zwischen den Subjekten und dem Betrachter, zwischen Realität und (Selbst-) Darstellung sind hier in faszinierender Weise verstärkt und aktualisiert. Stellt sich Velázques in seinem Las Meninas noch als unumstrittenen Maler am spanischen Hofe dar, so bricht BHQF durch ihre Aneignung diesen Topos und verwirft das Ideal der „Künstlerprominenz“. Las Meninas (2011) wird einer Siebdruckphotographie gegenübergestellt, welche das BHQF Künstleratelier zeigt, in dem der Künstler abwesend ist, jedoch zahlreiche Materialien der künstlerischen Produktion erscheinen. Beide Gemälde thematisieren Begrifflichkeiten des Künstlers, des künstlerischen Prozesses und offenbaren schliesslich die komplexe Interaktion mit dem Betrachter.
Die schwarzweiss Siebdrucktechnik dient ausdrücklich als visueller Verweis auf Andy Warhols bahnbrechende Silkscreens der 60er Jahre. Durch die visuellen Codes und durch die spezifischen Verweise auf Warhol artikuliert BHQF die Rolle des Künstlers und deren Dialektik. Warhol wird dabei als paradigmatischer Vertreter dieser ambivalenten Künstlerfigur beschworen, der sich selber wie kein zweiter sowohl als Künstlersuperstar in der Öffentlichkeit zu inszenieren wusste, als auch gleichzeitig deren Ambivalenz künstlerisch veranschaulichte. Somit formuliert BHQF durch die Aneignung ikonographischer Elemente und Techniken der Ikonen der Vergangenheit einen kohäsiven Dialog über heutige zeitgenössische Kunstpraktiken.
„Es war für uns immer wichtig über Kunstgeschichte als Geschichte des Materials nachzudenken, über Möglichkeiten, mit noch mehr Dingen zu arbeiten, unabhängig davon, ob man sie dabei honoriert oder verunglimpft. Es ist in erster Linie ein Material, mehr als alles andere, Holz oder Gips.“ (BHQF in einem Interview mit Cameron Shaw, ‚Enter the Afterlife: A Conversation with Bruce High Quality Foundation‘, Art in America, März 2009).

Diego Velázques Version von 1656
Michels Foucaults ‚Die Ordnung der Dinge: Eine Archäologie der Humanwissenschaften‘ (erschienen 1966) beginnt mit einer ausführlichen Diskussion von Diego Velázques Bild Las Meninas (Die Hofdamen) und ist eine komplexe Anordnung von Fluchtlinien, verborgenen Themen und Erscheinungen. Mit der Analyse dieses berühmtesten Bildes von Velázques entwickelt Foucault die zentrale These des Buches, dass nämlich allen historischen Epochen bestimmte Bedingungen von Wahrheit und was als solche annehmbar war zu Grunde liegen, so zum Beispiel wissenschaftliche Diskurse. Foucault argumentiert, dass sich solche Diskursbedingungen über die Zeit hinweg verändern, durch grössere und relativ unvorhersehbare Verschiebungen.
Die komplexe und enigmatische Komposition seiner Arbeit wirft Fragen in Bezug auf Realität und Illusion auf, und schafft eine unsichere Beziehung zwischen dem Betrachter und den dargestellten Figuren. Las Meninas zeigt einen grossen Raum im Madrider Palast von König Philipp IV von Spanien, mit verschiedenen teilweise identifizierbaren Figuren am spanischen Hofe, welche in einem speziellen Moment eingefangen sind. Einige Figuren schauen den Betrachter aus der Leinwand heraus an, während andere miteinander interagieren.
Die junge Infanta Margarita ist von ihren Hofdamen, Chaperons, Leibwächtern, zwei Zwergen und einem Hund umgeben. Gleich dahinter hat sich Velázques selbst beim Malen porträtiert. Velázques blickt hinaus, jenseits des piktoralen Raumes, zu dem Ort, wo der Betrachter stehen würde. Ein Spiegel im Hintergrund reflektiert den Oberkörper der Königin und des Königs. Das königliche Paar erscheint in einem Raum ausserhalb des Bildes, vergleichbar mit demjenigen des Betrachters. Einige Kritiker haben es so interpretiert, dass das Paar in dem Moment vom Maler porträtiert wird.
Las Meninas ist eine reine Manifestation kritischen Denkens, ein wichtiger Wesenszug moderner Philosophie. Die Bedeutung dieses Bildes liegt für Foucault in der Tatsache, dass es Ungewissheiten in der visuellen Darstellung einführt, zu einer Zeit, in der Malerei allgemein als „Fenster zur Welt“ verstanden wurde. Foucault glaubt, dass Las Meninas eine äusserst frühe Kritik an der Annahme, Bilder besässen die Kraft, eine objektive Ordnung visuell zu bestätigen, darstellt. Diese bildnahe Analyse ist eine wundervolle Einführung in die darauffolgenden Ausführungen zur Ordnung der Dinge. Er entwickelt eine paradoxe Beziehung zwischen Realität und Darstellung.
Foucault konstruiert eine Dreiecksbeziehung zwischen Maler, dem Spiegelbild, und dem schattenhaften Mann im Hintergrund. Diese drei Elemente sind miteinander verbunden, indem sie allesamt Darstellungen eines Realitätspunktes ausserhalb des Bildes sind. In seiner Analyse erhält was ausserhalb des Bildes ist Bedeutung für das was innerhalb sich befindet. Damit werden die Königin und der König zum Zentrum des Bildes. Sie erschaffen dieses Spektakel der Betrachtung als Mittelpunkt, um welchen sich die gesamte Darstellung anordnet; sie sind das wahre Zentrum des Bildes.
Diese Drei betrachten die dargestellte Szene im Bild zu verschiedenen Zeitpunkten, aber vom selben Raumpunkt aus. Die drei Perspektiven gehören zur Königin und zum König (die die Szene betrachten während sie porträtiert werden), zu Velázques (dem Betrachter der Szene, wahrscheinlich nachdem sie entstanden ist), und zu uns, den Betrachtern (welche das vollendete Bild anschauen). Die Modelle erscheinen im Spiegel; der Maler ist selbstporträtiert; und der Betrachter ist durch die schattenhafte Figur im Hintergrund dargestellt.
Las Meninas Besonderheit liegt in der Selbstreflektierung der Darstellung. Der Maler malt sich selbst, er malt den eigentlichen Akt des Malens als auch das Objekt seiner Darstellung, hält dadurch also autoritative Kontrolle über das Geschehen sowie über die Darstellung selbst. Die Subjekte, welche in diesem Bild für die Betrachter unsichtbar bleiben halten eine dominante Präsenz zu den aktuellen Figuren, auch gegenüber dem Künstler. Die dargestellte Leinwand nimmt einen signifikanten Teil des Bildes ein, sie deckt fast den gesamten vertikalen Streifen der linken Seite ab und bedeckt somit gekonnt die Ecken des Raumes. Die Leinwand weist nicht in eine bestimmte Richtung, nicht so wie die anderen Elemente des Bildes. Die Darstellung des Modells wird somit in Las Meninas noch komplexer. Die Leinwand ist eine umgewandelte Kopie des Modells (Königin und König). Somit kann die Darstellung des Modells im Spiegel nur von unserem (dem Betrachter) Standpunkt aus gesehen werden, nicht von demjenigen des Modells. Das Modell blickt in den Spiegel und sieht nichts, während wir die Reflektion des gemalten Modells im Spiegel sehen. Wir wissen von der Anwesenheit des Modells durch den Spiegel, jedoch unterbricht die unsichtbare Leinwand die direkte Beziehung zwischen Spiegel und Modell.
Foucault untersucht die Macht der Darstellung über die Realität. Die Sprache ist spärlich und erschafft die perfekte Atmosphäre, in der wir uns wie Betrachter zu verhalten beginnen, welche das Bild sehen. Der einzige Realitätspunkt, der sich im Bild spiegelt und welcher der Malerei des Malers im Bild unterliegt, wird hinfällig. Der Fokus des Bildes vibriert zwischen multiplen Ebenen der Form und der Bedeutung, allesamt innerhalb des Bildes selbst. Illusion und Realität sind vermischt. Und am Ende können wir nicht behaupten, dass was wir sehen real ist, da es nur als Teil der Illusion erscheint.

Über den Künstler

Die Bruce High Quality Foundation ist ein Kunstkollektiv, das 2004 in Brooklyn, New York City, gegründet wurde, um eine Alternative zu allem zu fördern. Die Gruppe ist nach einem fiktiven Künstler, dem Bildhauer Bruce High Quality, benannt, der 2001 gestorben sein soll. Ihre Mitglieder bleiben anonym, um gegen die Star-Maschinerie des Kunstmarktes zu protestieren, aber es ist bekannt, dass es sich um eine Gruppe von Künstlern handelt, die sich während ihres Studiums an der Cooper Union (New York) kennengelernt und angefreundet haben.