Scarlet Heart
by Takashi Murakami
Material
Stahl, synthetische Harze, Fiberglas, Farbe, Sand; 145 x 130 cm
Datierung
2002
Über das Kunstwerk
Edition 3/5
Takashi Murakami erweckt in seinen Werken seine eigene Parallelwelt zum Leben. Inspiriert von zeitgenössischer und klassischer Japanischer Kunst vermarktet Murakami nach westlichem Vorbild sein Imperium, welches mittlerweile von Kunstwerken über Zeichentrickfilme, sogenannte Anime, bis hin zu Spielzeugfiguren alles selbst produziert. Dabei spielt er ganz bewusst mit der Grenze zwischen Kunst und Kommerz. Seine Bekanntheit entstammt gerade dieser Vermischung von „hoher“ und „niedriger“ Kunst und aus der Einführung des Begriffes „Superflat“. Damit umschreibt er eine philosophische Theorie, welche die tiefgreifenden Unterschiede zwischen der Herkunft der westlichen Popkultur und der japanischen Nachkriegsgesellschaft benennt. Die Entwicklungsdiskrepanz zwischen den beiden Kulturen wurzle in der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg, aus dem die Vereinigten Staaten und Grossbritannien als Kriegsgewinner des globalen Mächteringens hervorgingen. Dies begünstigte die Entwicklung der Popkultur in den westlichen Nationen inmitten des wirtschaftlichen Gedeihens und der damit verbundenen Ausbildung der Konsumgesellschaft, wohingegen diese Entwicklung in Japan nicht parallel verlaufen konnte. Murakami erklärt die Entwicklung Japans nach dem Zweiten Weltkrieg folgendermassen: „Wir durchlebten eine harte, von Armut gezeichnete Zeit. Wir wurden komplett geplättet und es ist uns seither nicht gelungen wieder aufzublühen. I habe ein Wort dafür: ‚superflach‘. Die heiteren Farben evozieren zwar die Popkultur, aber der Hintergrund ist ein völlig anderer.“
Die japanische Kunstbewegung und Kulturtheorie des „Superflat“ betrachtet und interpretiert die japanische Gegenwartskultur, vor allem die Formen des Otaku, eines computerfixierten, virtuellen Lebensstils, welcher als Realitätssubstitut gilt. Aus diesem Grund sind die Ausdrucksmittel des „Superflat“ tief verankert in der Bildtradition und den Produktionsmethoden der japanischen Manga und Anime. Takashi Murakami wendet den Begriff des „Superflat“ auf verschiedene „abgeflachte“ Formen in der japanischen Grafik, Animation, Popkultur und den bildenden Künste, zugleich aber auch auf seinen persönlichen Kunststil an. Sein eigener Ausdruck der „Superflat“-Kunst zeichnet sich dadurch aus, dass er Hochkultur und Subkultur verbindet, indem er sich sowohl auf Elemente aus der traditionellen japanischen Kunst, als auch aus der postmodernen Otaku-Kultur konzentriert und damit versucht, ein Massenpublikum zu erreichen.
Diese Verbindung lässt sich am Bild Untitled sehr schön zeigen. Murakami macht hierbei Gebrauch von den klassischen Darstellungsarten, welche er in seiner Ausbildung an der Kunsthochschule in Tokyo erlernt hatte. Er benutzt die gleiche flache, zweidimensionale Perspektive wie seine künstlerischen Vorfahren und wählt für den Hintergrund ein helles Gold, welches ebenfalls häufig als Hintergrundfarbe auf den Leinwänden der traditionellen japanischen Malerei diente. Dieses Zitat der altehrwürdigen Bildkunst kombiniert Murakami dabei mit den comic-haften Sujets der zeitgenössischen Bildästhetik. Alle vier Kunstwerke zeigen zwei bei Murakami regelmässig wiederkehrende Sujets: Augen und Pilze.
Die Augen, sogenannten „Jellyfish Eyes“, sind Teil einer von Murakami erfundenen Parallelwelt, welche die Menschen mit phantastischen Kreaturen, den Yokai, traditionelle Monster aus der japanischen Folklore, teilen. Die Quallenaugen sollen des weiteren auch Elemente zur Förderung eines Dialoges sein, indem Murakami mit ihrer Hilfe eine grössere Nähe und Identifikation des Betrachters mit dem Werk hervorrufen will: „Ich habe beobachtet, dass Augen den Betrachter dazu animieren mit dem Werk zu interagieren.“ Der Künstler glaubt also, dass das Gefühl des Unbehagens, des Beobachtet-Seins, den Betrachter dazu anregt, hinter die oberflächlichen Interpretationen seiner Werke zu schauen und seinen Werken auf einer tieferen Ebene mehr als nur rein ästhetischen Sinn abzugewinnen.
Neben den Jellyfish Eyes hat auch die Darstellung von Pilzen einen festen Platz in Murakamis persönlicher Mythologie. Sein frühster Bezug zu Pilzen kommt aus seiner Kindheit, als er jene – fasziniert von ihrer Formenvielfalt – im Garten seiner Mutter aufmerksam studierte. Ausserdem haben psychoaktive Fungi einen besonderen Stellenwert in der japanischen Kultur, denn ihnen wird eine übersinnliche Verbindung zwischen Himmel und Erde eingeräumt. Seine meist verspielt, bunt und unschuldig dargestellten Pilze können jedoch auch in einen ernsthafteren Kontext gerückt werden, an welchen ihre verschiedenen, teilweise fast schon deformierten Umrisse anbinden könnten. So erinnert die Darstellung der Lamellen stark an Zähne oder Splitter. Der Pilz wird bei Murakami also nicht nur mit Natur und Übersinnlichkeit in Verbindung gebracht, sondern auch mit menschlichem Schicksal und dem von Menschenhand verursachten Grauen, welches durch das für Japan höchst traumatische Erlebnis der Atombombe und durch den damit assoziierten Atompilz seinen Ausdruck findet.
Die Atombombe Fat Man, welche am 9. August 1945 über Nagasaki abgeworfen wurde, wäre eigentlich für die Stadt Kokura, in welcher Murakamis Mutter lebte, bestimmt gewesen. Sie soll ihren Sohn wiederholt darauf aufmerksam gemacht haben, was für ein glücklicher Junge er doch sei; wäre Kokura an diesem Tag nicht verschont geblieben, wäre er nie geboren worden. Aus dieser existenziell-persönlichen Perspektive heraus ist der Stellenwert der Pilze in Murakamis Arbeit als Symbol für die – heute wieder aktuell gewordene – Angst vor den Folgen verschiedener Formen der Atomenergie begreifbar.
Die Darstellung von Pilzen hat also einerseits eine gewichtige Bedeutung aus dem persönlichen Themenfundus des Künstlers, andererseits eignen sie sich auch als Sinnbild für die komplexe Beziehung zwischen Japan und den Vereinigten Staaten als Folge des Zweiten Weltkrieges. Seine ganze bisherige Karriere über hat sich Murakami mit dem bipolaren Verhältnis zwischen der japanischen und der westlichen (vor allem der amerikanischen) Kunst und Kultur beschäftigt. Seine künstlerische Herkunft ist damit eine Mischung aus japanischen, amerikanischen und europäischen Traditionen. Er hat dieses Nebeneinander verschiedener visueller Bräuche zu einer ihm eigenen Ästhetik gemacht, welche sich in einer grossen Anzahl an wiederkehrenden Bildern und Ikonen aus diesen drei Einflussbereichen in seinen Kunstwerken niederschlägt.
Über den Künstler
Die Arbeiten des japanischen Malers und Plastikers beziehen sich oft auf japanischen Populärmedien und entsprechende Subkulturen und hinterfragen das Konzept der „Hochkunst“. Während seiner Ausbildung studierte Murakami die semi-traditionalistische japanische „Nihonga“-Malerei, welche ihm aber bald nach seinem Studienabschluss als nicht mehr zeitgemässe Kunstform erschien. Seine Inspirationen bezieht er aus der Otaku-Subkultur – deren Motive er aus ihrem Zusammenhang herausnimmt und isoliert darstellt oder in andere Zusammenhänge einbringt – und aus populären Gattungen wie Manga und Anime, woraus bald die von Murakami initiierte Kunstbewegung „Superflat“ entstand. Seine betont poppigen Motive gestaltet der Künstler comicartig und verzichtet dabei auf Schattierungen und Schraffuren. Zu seinem breiten Arbeitsspektrum zählen auch Skulpturen und Designobjekte.
Seine in New York und Tokio tätige Firma „Kaikai Kiki Company“ dient der Fertigung und Vermarktung zeitgenössischer japanischer Kunst und vertritt neben Takashi Murakami selbst auch Künstler wie Chiho Aoshima, Aya Takano, Chinatsu Ban, Mahomi Kunikata oder Rei Sato.
Murakamis Oeuvre, welches sich zwischen Neo Pop und Pop Surrealismus verordnen lässt, wurde bereits mit zahlreichen internationalen Ausstellungen geehrt. Daneben wurde der Künstler dem europäischen und amerikanischen Publikum auch als Gestalter von Albumcovers und als Designer von Entwürfen für den Taschenhersteller Louis Vuitton bekannt.