Torse

by Joan Miró

Material

Bronze; 189.2 x 133.2 cm

Datierung

1969

Über das Kunstwerk

Edition 4/6

Joan Miró ist eigentlich eher als Maler bekannt, doch schon in den 1930er Jahren begann er damit Skulpturen und freistehende Objekte zu formen. Der Grossteil seiner plastischen Werke stammt allerdings von 1960-1983. Sein Interesse für die Skulptur führte Miró auf eine Übung zurück, die ihn sein Lehrer Francesco Galí praktizieren ließ: mit verbundenen Augen sollte der damalige Student an der Escola d´Art von Barcelona verschiedene Gegenstände ertasten und sie anschließend zeichnen, um zu lernen, die Form zu „sehen“. Während seine früheren Werke vor allem aus Fundgegenständen bestanden, so waren seine späteren Skulpturen oft grosse, anthropomorphe Bronzefiguren, welche von Fundgegenständen inspiriert waren.
Auch die hier gezeigte Skulptur „Torse“, welche einen weiblichen Rumpf darstellt, gehört zu Mirós Spätwerken. Die Figur mit ihren üppigen Rundungen, eleganten Aushöhlungen und feinen Einkerbungen basiert auf einem kleineren Modell, gerade einmal 10 cm hoch, welches der Künstler 1966 anfertigte und den Namen „Torse de Femme“ trägt. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Werken, abgesehen von der Grösse, besteht in einer zusätzlichen Einkerbung beim Modell: Den Kreis mit einem Punkt in der Mitte, welcher in Mirós Zeichensprache ein Auge symbolisiert, sucht man bei der grossen Skulptur „Torse“ vergebens.
Die ovale, schlitzartige Einkerbung, welche die weiblichen Geschlechtsteile symbolisiert, weist die Skulptur, auch ohne den Hinweis durch den Modelltitel, eindeutig als weiblich aus. Während seiner Schaffenszeit kreierte der Künstler mehrere mysteriöse Zeichen, welche immer wieder in seinen Werken auftauchen und als Stellvertreter und Symbole agieren. Mit dieser rätselhaften Bildsprache orientierte sich Miró stark an der Kultur der afrikanischen und ozeanischen Kunstproduktion. Jaques Dupin, ein französischer Kunstkritiker der auch Mirós Biografie verfasste, sagte zu diesen Zeichen: „Nachdem Miró die eigentliche Skulptur schon geschaffen hat, kommt es immer wieder vor, dass er sie abschliessend noch mit einem grafischen Erkennungssymbol kennzeichnen muss, um sie zu spezifizieren und sich endgültig von ihr zu lösen. Die Zeichen, welche er eingraviert, strahlen eine raue und primitive Einfachheit aus. Der Verzicht auf Farbe, ihre isolierte Erscheinung und die Tiefe der Einschnitte im Zusammenspiel mit den schwungvollen Konturen verleihen ihnen einen nachdrücklichen Eindruck. Bei seinen grossen Skulpturen ähnelt die Kennzeichnung des weiblichen Geschlechts fast einer rituellen Feierlichkeit.“

Über den Künstler

Der spanische Künstler fing auf Wunsch seines Vaters eine kaufmännische Ausbildung an, nachdem er das Gymnasium aufgrund schlechter Zensuren hatte verlassen müssen. Doch schon während seiner Ausbildung besuchte Miró nebenbei den Kunstunterricht an der Kunstakademie „La Llotja“ in Barcelona, da ihn sein eingeschlagener Karriereweg keineswegs erfüllte. Nur wenig später, nachdem er während der Arbeit einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, gab er den kaufmännischen Beruf schliesslich vollends auf.
Damit Miró sich erholen konnte, zog die Familie auf einen Bauernhof bei Mont-roig del Camp. Der Widerstand des Vaters gegen eine künstlerische Ausbildung schwand und Miró durfte sich an der privaten Kunstschule „Escola d’Art“ von Francesc Galí einschreiben. Dieser hielt seinen Schüler für hochbegabt und führte ihn in die modernen französischen Stilrichtungen und in die Architektur Antoni Gaudís ein.
So erschuf Miró über die Jahre eine Fülle poetischer Bildzeichen von suggestiver Form- und Farbkraft, welche auf der katalanischen Folklore aufbauen und von Kubismus und Surrealismus beeinflusst sind. Neben Gemälden fertigte Miró auch Skulpturen, Keramikarbeiten, Druckgrafiken und überdimensionale Theaterpuppen an. In seinem langen Künstlerleben entstanden etwa 2000 Ölgemälde, 500 Skulpturen, 400 Keramiken sowie 5000 Collagen und Zeichnungen. Das grafische Werk umfasst etwa 3500 Arbeiten, darunter Lithografien und Radierungen, die zumeist in kleinen Auflagen gedruckt wurden.